Freitag, 21. November 2008

Extrem kurze Kulturgeschichte des reinrassigen Rheinlandes

Leseprobe


Im Gegensatz zum Homo sapiens war Denken nicht die Stärke des Neandertalers. Er hatte zwar eine größere Hirnmasse als der Homo sapiens, war aber nicht wirklich lernfähig. Zum Beispiel benutzte er eine Viertelmillion Jahre immer die gleichen ollen Faustkeile, keine Weiterentwicklung, gar nichts. Man kann sich schon vorstellen, wie die Diskussionen abliefen. Die Neandertälin: »Dieser Steinbrocken hier ist völlig stumpf, mach doch mal einen neuen Faustkeil, einen mit scharfer Spitze, dann spritzt es auch nicht immer so, wenn man jemandem den Kopf einschlägt« – Der Neandertaler: »Schon wieder ein neuer Faustkeil? Der alte tut’s doch noch!« Wie gesagt, der Neandertaler hatte eine größere Hirnmasse als der Homo sapiens. Und beim heutigen Homo sapiens hat der Mann ein größeres Gehirn als die Frau. Man muss aber nicht unbedingt Schlussfolgerungen daraus ziehen.
Der Neandertaler hatte keine Speere, die man von Weitem – also mit sicherem Abstand – auf ein wildes Tier hätte werfen können, sondern benutzte über Hunderttausende von Jahren immer den gleichen kurzen Wurfspieß, wo man dem Mammut schon verdammt nah auf die Pelle rücken muss, bevor der Spieß sinnvoll wird und nicht nur Ballast ist beim Wegrennen. Tja, aber so war er, unser Neandertaler, ein erdverbundener, technologiescheuer Traditionalist, sozusagen der Bayer des Mittelpaläolithikums. Ist doch süß.
Wir haben es also nicht mit den Allerhellsten zu tun. Ein weiterer Beweis: Der Neandertaler war der einzige Mensch, der sich die ganze Eiszeit über in Europa aufhielt – immerhin ungefähr eine Viertelmillion Jahre. Man hätte auch problemlos ein Stückchen weiter in den Süden ziehen können, wo das Wetter besser war – in die Sahara zum Beispiel, die damals so aussah wie die Toskana heute, nur ohne Rotwein, Designerschuhe und Joschka Fischer. Aber nein, heimatverbunden, wie er war, blieb der Neandertaler in Europa.
Der Homo sapiens hingegen wanderte aus seiner Heimat Ostafrika ganz gemütlich in andere warme, freundliche Feriengebiete mit gutem Essen, erst ins restliche Afrika, dann in den Nahen Osten – der selbst mit Säbelzahntigern und Höhlenbären wahrscheinlich ein friedlicherer Ort war als heutzutage –, und weiter ging’s in die Türkei. Und dann blieb er erstmal dort in der Gegend, weil es weiter nördlich zu kalt war. Kleine Erinnerung: Eiszeit! Deutschland war eine Gefriertruhe! Aber als die Gletscher langsam schmolzen – das war damals eine gute Nachricht –, da rückte der Homo sapiens gemächlich nach. Er brauchte ungefähr 10.000 Jahre von der Türkei bis nach Frankreich – und damals gab’s nicht mal Staus. Er hat sich also Zeit gelassen. Aber, wie sein Name schon sagt, dieser neue Mensch aus Afrika dachte nach, hörte den Wetterbericht und sagte sich: Hey, was soll ich während der Eiszeit in Europa? Ohne Snowboard?
Der Homo sapiens trödelte also schön die Mittelmeerküste entlang und hing in den Strandbars ab, bis Europa aufgetaut war. Der Neandertaler hingegen, der erste richtige Europäer, hockte die ganze Zeit bibbernd im Schneegestöber und kam nicht im Entferntesten auf die Idee, doch ein Weilchen umzuziehen, bis das Wetter besser würde. Nein, der Neandertaler sagte sich: Hier gehöre ich hin, das ist meine Heimat, Deutschland den Deutschen – und wer sind all die illegalen Ausländer, die hierhin kommen, nur weil es grade taut?

Auszug aus:



Sheila Mysorekar
Dienstags gibt es Tantra-Sex
Politische Satiren über Rassismus, Sex und den Neandertaler.
ISBN-13: 978-3-89771-488-5 | ca. 100 Seiten | ca. 8.9 Euro
Erscheint voraussichtlich April 2009
(c) Unrast Verlag, 2008

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