Freitag, 27. März 2009

Marx vom Kopf auf die Füße gestellt?

Rezension zu:

Gerhard Hanloser / Karl Reitter
Der bewegte Marx
Eine einführende Kritik des Zirkulationsmarxismus
64 Seiten, 7.80 Euro
ISBN 978-3-89771-486-1
Unrast, 2008


Wie wird heute Marx gelesen? Und wie liest Deutschland Marx? Viele Schnelllektüren in Sachen Marx heben nur auf seine ersten - sehr abstrakten - Kapitel ab. Marx liefert hier allerdings nur Modelle für die Analyse. Leider bewegen sich auch exponierte Marx-Freaks (»Neue Marx-Lektüre«, »Neue deutsche Wertkritik«) hier buchstäblich nicht weiter. Viele Autoren bleiben gerade bei dem Fetisch des Kapitals stehen und bleiben somit an der Oberfläche der von Marx aufgezeigter kapitalistischen Zirkulation. Es ist gerade in Deutschland eine Besonderheit: Man ließt Marx und versteigt sich in Interpretationen, die jede Bewegung vermeidet. Liegt es daran, dass wer sich bewegt, der könnte seine Fesseln spüren?

Anders diese gut lesbare Lektüre: Die Autoren bringen die notwendige Kritik an der verkürzten Leseweise von Marx und damit den ganzen Marx gut auf den Punkt: Marx entwickelte Theoriemodell für das Aufbegehren im Kampf gegen das Kapital. Ohne das Begehren, sich in Bewegung zusetzen, ohne politischen Kampf, ohne "substantiellen Zusammenhang von Erkenntnis und Erfahrung im Klassenkampf" (Christoph Jünke in der Jungen Welt zu diesem Buch), kann man bei der Marxlektüre nicht weit kommen. Die Autoren begründen mit Marx Arbeitsweise beim Schreiben seines Werkes sehr schön, dass die Herrschaftsverhältnisse sehr wohl nicht nur abstrakt sind und von Marx auch nicht allein abstrakt gedacht und betrachtet wurden, sondern konkret. Mit dieser schönen Einführung bewegt es sich besser. Der Titel ist gut gewählt.

Zu empfelen: Rezension: Alles Fetisch - oder was? Von Christoph Jünke.


Kurz:
* Für Leute, die beim x-ten Theoriepamphlet denken, sie müssten in Ohnmacht versingen.
* Nichts für Leute, die glaubten, mit ihrem Crashkurs-Marx im Siebten Himmel der Unberührbaren zu schweben.
* Ein schönes Büchlein, wenn man einen Überblick über geschwurbelte Theorien der letzten Jahre benötigt und nach einem Gegenmittel sucht.

Diejenigen, die erst noch lernen möchte von einer andere Welt zu träumen, denen sei das Büchlein "Kommunismus für Kinder" empfohlen:

Bini Adamczak
Kommunismus
Kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird

Interventionen gegen Überwachung

Lesetipp:

Leipziger Kamera - Initiative gegen Überwachung (Hg.)
Kontrollverluste
Interventionen gegen Überwachung
256 Seiten, ISBN 978-3-89771-491-5
Unrast Verlag, Münster, März 2009

Das Buch Kontrollverluste versammelt Beiträge zu Fragen einer emanzipatorischen und praktischen Kritik an der aktuellen Überwachungsgesellschaft. Es führt sehr unterschiedliche Strategien und Perspektiven der linken Überwachungskritik zusammen. Kritische WissenschaftlerInnen, AktivistInnen und Initiativen stellen theoretische, aber vor allem strategische und aktionsorientierte Überlegungen an, reflektieren ihre Handlungserfahrungen und beleuchten Probleme und Potenziale von Bewegung(en) gegen immer mehr Überwachung und Kontrolle.

Die »Leipziger Kamera. Initiative gegen Überwachung« ist seit 2003 in der Stadt des bundesdeutschen Pilotprojekts zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze aktiv. Zu ihren Projekten zählen überwachungskritische Stadtrundgänge (seit 2004), das Festival »DEL+CTRL« (2006), die Veranstaltungsreihe »Salon Surveillance« (seit 2007) und Aktionen wie die Verleihung des »Erich-Mielke- Gedächtnispreises« (2003/2005) und das »Making Trouble«-Wochenende (2006) zusammen mit den Space Hijackers aus London.

autoritärer Sozialstaat

Lesetipp:

Gruppe Blauer Montag
Risse im Putz
Autonomie, Prekarisierung und autoritärer Sozialstaat
ISBN 978-3-935936-72-9 | 192 Seiten |
Assoziation A - Hamburg/Berlin, November 2008

Die Hamburger Gruppe Blauer Montag, die ihren Ursprung in den Jobber- und Erwerbsloseninitiativen der 1980er-Jahre hat, zählt zu den wenigen Zusammenhängen der autonomen Linken, die die »soziale Frage« seit Jahren zu ihrem zentralen Thema gemacht hat. Der Übergang von Welfare zu Workfare ist einer ihrer Untersuchungsgegenstände. Anders als die neokeynesianisch orientierte Traditionslinke, aber auch in Abgrenzung zu Vertretern eher neoliberaler Grundeinkommensvarianten stellt die Gruppe den Zusammenhang von kapitalistischem Kommando und Mehrwertabpressung im Produktionsprozess mit der sozialstaatlich regulierten Reproduktion in den Fokus ihrer Kritik. Mit ihren Texten interveniert sie in ein zwischen Autonomen und Linksgewerkschaftern angesiedeltes Debattenfeld um Arbeitsmarkt und Sozialpolitik. Der Blaue Montag formuliert dabei einen lebendigen Einspruch gegen Prekarisierung, Zwangsflexibilisierung und autoritären Sozialstaat.

Vernichtungslager Sobibór

Auslieferung und Prozess gegen den KZ-Aufseher John Demjanjuk